Katharina Jahnke

wenn das Zelt umgefallen ist

15. Januar – 13. Februar 2021

Ataraxia in der Umkleide

Identität beruht immer auch darauf, wie man von anderen gesehen wird, bemerkte Stuart Hall, legendärer Mitbegründer der Cultural Studies, in John Akomfrahs Film The Stuart Hall Project (2013). Einen hohen Anteil daran, wie man von anderen gesehen wird, hat zweifellos die Mode. So inszeniert Katharina Jahnke ihre Ausstellung in Anspielung auf eine Boutique, mit Display-Strukturen, Spiegeln, einigen Ketten, die vertikal an der Wand herabhängen, einer räumlichen Situation, die an eine Umkleidekabine denken lässt, und großformatigen Postern.

Im Eingangsbereich ist eine Art Lookbook ausgelegt, ein Album mit Collagen, von denen einige offenbar als Vorlagen für die Poster dienten. Eines davon zeigt – als Bild im Bild – das durch die Collagetechnik quasi gespaltene Porträt einer jungen Aristokratin. Das Ausgangsmaterial stammt zum Teil aus einem historischen Glamourmagazin über die Bräute der spanischen High Society – Frauen, die offensichtlich sehr viel mehr zu verlieren hatten als ihre doppelreihigen Perlenketten. Auf einem anderen Poster erscheint die Fornarina als hochkulturelle Hülle, die durch die Künstlersignatur auf ihrem Oberarm wie mit einem Tattoo gelabelt ist – Raffaels „Markenbotschafterin“? Im Inneren dieser Hülle kommt eine weitere Prominente, die Schauspielerin Penelope Cruz, zum Vorschein, allerdings nicht als Privatperson, sondern in einer ihrer zahlreichen Rollen – hier als „Markenbotschafterin“ für eine französische Kosmetikfirma. Anstatt zur „wahren“ Identität der Dargestellten vorzudringen, weicht diese mit jeder Bildebene zurück wie die ineinander geschachtelten Figuren einer Matrjoschka oder wie die sich einander spiegelnden, tunnelartigen Spiegelbilder, die sich leitmotivisch durch die Ausstellung hindurchziehen. Das Gesicht, darauf deuten auch die auf einer Ablage platzierten skulpturalen Objekte hin, ist die Maske. Auf einem runden, auf dem Boden platzierten Spiegel erhebt sich – wie aus einem Teich oder einer Quelle auftauchend – eine Porzellanhand, wie man sie ähnlich auch zur Aufbewahrung und Präsentation von Schmuckstücken kennt. Hier gibt sie nebenbei einen Wink auf die aktuell gesteigerte Produktion von Schutzhandschuhen. Auf der Handinnenfläche ist ein Sperling – Symbol der vorsichtigen Zufriedenheit mit dem, was man hat – aufgemalt.

Mit ihrem Boutique-Charakter signalisiert die Ausstellung eine marktförmige Situation, die nur scheinbar im Widerspruch zu ihrem Schauplatz in einem nichtkommerziellen Off-Space steht. Es könne niemandem verborgen bleiben, konstatierte Roland Barthes in Die Sprache der Mode (1967), dass unser kollektives Imaginäres – das nicht nur im Bereich der Kleidung Moden unterliegt – kommerziellen Ursprungs ist. Schließlich gelten gerade Künstlerinnen und Künstler als Prototypen des heute allgemein geforderten „unternehmerischen Selbst“ (U. Bröckling).

Es zeugt von einer gewissen Widerständigkeit, dass die drei Kleidungsstücke in der Ausstellung zwar eine zentrale Position einnehmen, jedoch nicht als attraktive Warenfetische und begehrenswerte Luxusgüter präsentiert werden. Vielmehr wirken sie wie bereits getragene Arbeitskleidung, die nach einem anstrengenden Tag für den nächsten Einsatz lässig oder müde abgeworfen wurde. Bei den drei Modellen handelt es sich um einen Zeichenkittel der 1960er-Jahre aus einem „volkseigenen“ Erfurter Bekleidungsbetrieb, eine Feuerwehrjacke aus den frühen 1980er-Jahren und ein Uniformkleid amerikanischer Krankenschwestern aus den 1960- oder 1970er-Jahren. Es gehört zum Vermächtnis konzeptueller Künstlerinnen der 1970er-Jahre wie Mary Kelly, Mierle Laderman Ukeles oder Martha Rosler, Arbeitswelten von Frauen – nicht zuletzt im Bereich der Fürsorgearbeit – kritisch in den Blick zu nehmen. Katharina Jahnke hat die standardisierte Funktionskleidung „customized“ und durch ihre Intervention zu einem individuellen „Kommunikationsobjekt“ gemacht. Die Kleidungstücke wurden manuell mit Zitaten bestickt, die ihre Funktionen hinterfragen oder konterkarieren. Die Textfragmente stammen aus fantastischen, betrügerischen Spam-Mails, in denen fiktive Personen um finanzielle Unterstützung bitten, aus der Chaostheorie, aus einem Ratgeberbuch für alle möglichen Notfälle oder aus Songtexten.

In der Boutique ist erfahrungsgemäß – abgesehen von der Kasse – die verspiegelte Umkleide der Ort der Wahrheit. Katharina Jahnke grenzt diesen sensiblen, halb öffentlichen, halb privaten Bereich durch einen durchlässigen, beweglichen Vorhang aus Ketten ab, deren lose Enden auf dem Boden wie von Geisterhand bewegt oder rein zufällig einen Schriftzug bilden – ähnlich, wie Assoziationsketten unvorhergesehene Bedeutungen erzeugen. Auf seine instabile Existenz zwischen relativer Autonomie und relativer Prekarität reagiert das künstlerische Subjekt möglicherweise am besten mit epikureischer Unerschütterlichkeit: ANYWAY

Barbara Hess