Philipp Goldbach

Dance Floor

25.9. – 23.10.2021

Ein Blick in die Raumflucht des kjubh lässt in dem dunklen Raum eine lichte Bodeninstallation erkennen, die den hinteren Ausstellungsbereich bis auf einen schmalen Streifen fast vollständig ausfüllt. Sie wird nur von jeweils zwei Paar schwarzen Audioboxen und einem Subwoofer an den vier Seiten flankiert, die Musikstücke aus Pop, Metal, R&B, Rap, Punk und Independent-Geschichte hörbar werden lassen. Gekoppelt sind die Songs mit wechselndem, sich rhythmisch auf der rasterartigen Oberfläche ausbreitendem Licht, das die Fläche mit Lichtflecken, Flackern, geometrischen Formen und Filmversatzstücken erhellt und miniaturartige Farbfelder erkennen lässt. Wer Philipp Goldbachs Arbeiten kennt, weiß spätestens jetzt, dass die unzähligen fensterartigen Strukturen alte, ausgemusterte und überwiegend handbeschriftete Dias aus Instituten der Kunstgeschichte und -wissenschaft sind, die im Zuge der Digitalisierung in den 2000er-Jahren als raumgreifendes Archiv keine Verwendung mehr fanden und zum Material des Künstlers wurden.

2013 hatte er mit Sturm/ Iconoclasm 200.000 Dias mit fotografischen Reproduktionen von Exponaten und Artefakten der Kunst- und Kulturgeschichte, die jahrzehntelang Gegenstand der Lehre und Forschung am Kunsthistorischen Institut der Universität zu Köln waren, auf dem Boden des Museums Wiesbaden nach dem Zufallsprinzip verteilt. Die liegende Fülle der gerahmten Bilder ist widersprüchlich angelegt: so lassen die funktionslos gewordenen Dias einen ikonoklastischen Gestus erkennen, sind jedoch auch mit dem Ausbreiten und Zeigen von ausgemustertem Material verbunden, das durch digitale Bild- und Vermittlungsformen erdrutschartig an Bedeutung verloren hat. Anders als bei dieser frühen Diaarbeit Philipp Goldbachs, die analoge Reproduktionen thematisiert, erscheinen die Dias in Dance Floor als Bildfläche und wie auf einem Leuchttisch für einen analysierenden, vergleichenden Blick in transparenten Journalkassetten angeordnet; je eine mit 24 Dias, so wie sie der Künstler aus der Sammlung des Instituts für Kunst und Kunsttheorie der Humanwissenschaftlichen Universität zu Köln erhalten hat. Eingepasst sind sie in die nahezu quadratische und von zwei Seiten betretbare Bodenarbeit (19 qm). Diese imitiert einen beleuchteten Tanzboden, der auf 16 Modulen einer Unterkonstruktion aus Filmboard, Aluminiumprofilen, Streufolie und Makrolon-Kunststoffplatten ruht.

Im Unterschied zu Diskotheken und Clubs der 1970er- und 80er-Jahre mit ihren beleuchteten Modulen und Lichtanlagen, an die Dance Floor erinnert, hat Philipp Goldbach die Dias hier flächendeckend als Sicht- und Bildebene unter einer durchsichtigen Trittschicht eingesetzt. Sie zeigen fotografische Reproduktionen von Kunstwerken, in ihrer ganz eigenen Ästhetik: Objekte, Bauten, Collagen, Performances westlicher Kunstgeschichte. Dabei sind die Diasammlungen monografisch nach Werken zeitgenössischer und moderner Künstler*innen sortiert. Sie thematisieren zudem Kunstrichtungen, Themen und Gattungen, wie den Magischen Realismus, Pop und Minimal Art, Portrait, Glasarchitektur, Fotografie und Installation. Dance Floor umfasst 7680 Dias, die mit mäandernd eingelassenen Diodenketten aus LED-Lichtern jedes einzelne der Bilder ansteuern und so ein lichtes, aus historischen und zeitgenössischen Darstellungen konfiguriertes Display bilden.

Der Raum ist bis auf das Setting des Tanzbodens, Boxen, Controller und Kabel leer, zeigt als Rest noch einen grauen Farbstreifen des letzten Ausstellungsdisplays von Stefan Römer an der Wand, der nun Goldbachs Audioboxen auf ihren Tellerstativen hinterfängt. Die Tanz- wird zur Bildfläche und umgekehrt, sobald sich der Raum mit Menschen füllt und Dance Floor als Aufforderung verstanden wird, den gemeinsamen Augenblick zu nutzen durch Tanzen, Sitzen, Liegen, Sich-Unterhalten. Denn Philipp Goldbach hat eine Playlist mit 29 Songs für den Boden zusammengestellt, die Kunst und Kunstbetrieb thematisieren. Sie handeln von Künstler*innen wie Duchamp, Frida Kahlo, Basquiat und Picasso, Orten wie dem Louvre und der Kunstakademie oder Werken, wie der Rothko-Chapel. Mit vertreten sind The Jam mit Art School (1977), Bongwaters Obscene & Pornographic Art (1990), Der Investor der Punkband Die Goldenen Zitronen (2013) sowie Lordes Louvre (2017). Die Songs als zweites Element verbinden sich nun mit der Fläche aus modularen Strukturen und Kleinbilddias, die wie kleine Bildpixel Teil eines Gesamttableaus werden. Bild- und Leibraum – zwei Begriffe, die Walter Benjamin 1929 für surrealistische Kunst verwendete – sind bei Dance Floor durch die animierte Bildfläche, eine Begehbarkeit und taktile Erfahrung unmittelbar miteinander verschränkt. Die Filmwissenschaftlerin Miriam Bratu Hansen hat dieses Ineinander-Blenden von Köper- und Bildraum 2004 als Auflösung von Nähe und Distanz in eine einzige Umgebung begriffen, die das Perzeptive und Taktile gleichermaßen befördert. Auch Benjamin versteht das Kollektiv leibhaftig, so wie der kjubh als Ort der Begehung und Begegnung Teil einer gemeinschaftlich-körperlichen Erfahrung wird.

Das Angebot, den Tanzboden zu betreten ist ebenso ein widersprüchliches wie bei Sturm/ Iconoclasm: Denn es bedeutet nicht nur, durchleuchtete Bildgeschichte visuell zu durchmessen, sondern auf das Tableau der Kunstwerke zu treten, um den Dance Floor zu nutzen. Mit dieser Ambivalenz hat auch die Konzeptkünstlerin Yoko Ono in ihren als Performancepartituren funktionierenden Instruction Pieces der 1960er gearbeitet. Painting to be stepped on (1960), das auf der documenta 5 gezeigt wurde, bestand aus einer rechteckigen, weißen auf dem Boden liegenden Leinwand mit der Anweisung an das Publikum, diese zu betreten. Die Aufforderung erinnert an historische japanische fumi-e Trittbilder, oftmals mit Mariendarstellungen, und richtete sich an Christen. Sie sollten die Bilder mit Füßen treten, um dem eigenen Glauben abzuschwören. Dieser machtvolle ikonoklastische Akt, auf das Display des Bildes oder des kunsthistorischen Bildpanoramas zu treten, fordert somit zu einer Konfrontation heraus: mit der Geschichte und dem Kanon, dessen Grenzen und Beschränkungen durch eine dekoloniale Auseinandersetzung bereits ins Wanken geraten sind und einer Revision bedürfen; mit der Rolle der Bilder und ihren Repräsentationen in digitalen Umgebungen; mit der eigenen Wahrnehmung, Kunst in ihrer auratischen Wirkung oder als soziale Praxis wahrzunehmen.

Die Vorstellung von Kunst als einer gemeinschaftlichen Form des Sich-Ereignens hat Peter Osborne in seiner Kunstphilosophie 2013 mit der Frage „Together in Time?“ eingeleitet. Darunter versteht er eine post-konzeptuelle Herangehensweise, die mit einer in sich differierenden, historischen Zeitlichkeit unserer globalisierten Gegenwart einhergeht. Die verschiedenen Zeitebenen sieht er in soziale Räume eingebunden. Daher könnte seine Frage nach der gemeinsamen Zeiterfahrung durch eine kollektive Raumerfahrung (Together in Space) ergänzt werden. Das Bild spielt bei ihm als ideales Konzept und in seiner digitalen Form eine zentrale Rolle. Es bedarf einer Materialisierung, bei der Fotografie nur eine von vielen ist.

Dem Tanzboden gemäß, werden die Rhythmen der Songs wieder in bewegte Lichtstrukturen übersetzt: Als dritte Ebene von Dance Floor fungiert ein auf die Diodenketten gespieltes Video, das Bild- und Tanzfläche mit Lichteffekten im Rhythmus der Songs meist in schwarzweiß und mitunter in allen RGB-Farben versieht. So steuern Signale mit grafischen abstrakten Patterns, wie Starfield-Bildschirmschonern, Bildstörungen, Perforierungen und Filmversatzstücken aus Andy Warhols epischen 16mm-Filmen oder Duchamps Rotoreliefs die LED-Lichter an. Das Bildkompendium des Bodens wird durch diese visuellen Effekte überflutet und pulsierend in Bewegung versetzt. Dabei sind es die Orte und Erfahrungen dieser Bilder, die Bedingungen ihrer Projektion und Aufführung, im Seminarraum, im Institut, im Archiv und hier im Ausstellungsraum, die als Bildgrund und gemeinschaftsstiftendes Element sichtbar werden. Dance Floor gibt die Bühne frei, lässt Bilder, Moves, Songtexte in uns und auf die sich bewegenden Körper im Raum einwirken und hinterfragt damit Bild- und Körperpraktiken im Moment einer Krise der sozialen Interaktion.

Lilian Haberer