Victoria Pidust

I will not think about this for too long

30.10. – 27.11.2021

Die Bilder von Victoria Pidust ziehen ihre Betrachter und Betrachterinnen auf den ersten Blick in ihren Bann und werfen gleichzeitig Fragen auf: Was ist dort eigentlich zu sehen? Ist das eine Art von Malerei oder Fotografie? Sind die Arbeiten von der Künstlerin gemacht, oder sind das künstliche, computergenerierte Bilder, Bildergebnisse von Computerprogrammen? Und welche Rolle spielt die Künstlerin als Autorin dabei? Die Arbeiten lassen sich den bekannten medialen Kategorien nicht zuordnen und zur Beantwortung ist es hilfreich, Victoria Pidusts Arbeitsprozess zu verstehen, bei dem optische und digitale Werkzeuge wie digitale Fotografie mit dem Smartphone, digitale Bildbearbeitungsprogramme, 3D-Programme, Photogrammetrie, Scanografie und weitere optische und digitale Tools zum Einsatz kommen. Die Künstlerin erstellt mit Hilfe dieser Werkzeuge teils großformatige Arbeiten, die sie als Fotoabzüge, Fototapeten etc. realisiert und in den Raum bringt. Man könnte ihre Bilder als Kompositionen aus fotografisch-abbildenden und digital-algorithmisch erzeugten Bildfragmenten bezeichnen, die sie nach subjektiven Kriterien zusammenfügt, wobei das Ausgangsmaterial in Victoria Pidusts Arbeiten immer fotografischer Natur im Sinne einer Abbildung von Realität, von physisch Existentem ist. In der Folge verarbeitet sie dieses Ausgangsmaterial in verschiedenen analogen und digitalen Prozessen weiter, z.B. übt sie für ihre Serie Bildmassage mit den Händen physischen Druck auf einen Scanner während des Scanvorgangs aus, der daraufhin stoppt und digitale Fehlstellen (Glitches) produziert. Für die Serie Hybrids setzt sie Photogrammetrie und 3D-Programme ein, die normalerweise im Architekturbereich Verwendung finden, und erzeugt mit deren Hilfe im technischen Sinne unvollkommene 3D-Modelle, die als Bilder gerendert und weiterverarbeitet werden. Für die Serie iPhone zooming produziert Pidust mit ihrem iPhone extrem herangezoomte Bildausschnitte, bei denen errechnete, algorithmische Anteile der „in-camera“-Programme des iPhones sichtbar werden. „Der Algorithmus spiegelt die Welt anders, und das ist interessant“ merkt sie selbst zu diesen Arbeiten an.

In ihrem Arbeitsprozess werden maschinell, algorithmisch erzeugte und vermeintlich „objektive“ Bilder unter subjektiven und intuitiven Gesichtspunkten weiterverarbeitet, sie spricht davon, die „Fotografie von der Realität befreien zu wollen“. So erreicht Pidust einen definierten Abstraktionsgrad, in ihren Bildern ist einerseits oft nicht mehr einwandfrei erkennbar, worum es sich bei den abgebildeten Motiven handelt, andererseits sind die gegenständlichen Referenzen nicht völlig aus den Bildern verschwunden. Abgebildete Gegenstände wie Schnüre, Erdbeeren, Handtücher, Armbänder gehen in digitale Effekte über, andersherum verwandeln sich digitale Effekte, Glitches und provozierte digitale Programmfehler in alltägliche Dinge. Reales und Digitales verschmilzt so untrennbar miteinander, es ist eine Welt der Gleichzeitigkeit und gegenseitigen Durchdringung von virtuellen und physisch-realen, von gegenständlich-realistischen und abstrakt-konkreten „Layern“, die in Pidusts Bildern zum Vorschein kommt und diesen ihren ganz eigenen Charakter verleiht. Ihre Werkserien sind dabei nicht hierarchisch voneinander getrennt, sondern diese werden im Ausstellungsraum vermischt gezeigt, so dass sie dort miteinander interagieren können.

Victoria Pidusts Bilder vermitteln dabei bewusst keine klaren Botschaften oder Bildinhalte, sondern die Künstlerin setzt Assoziationstrigger, bei denen eine mögliche Bedeutung des Abgebildeten offen bleibt. Es entsteht ein digital überformtes Amalgam aus angedeuteten, nicht expliziten Versatzstücken und Realitätsfragmenten, die sich nicht in ein eindeutiges Narrativ, einen logischen Bedeutungszusammenhang bringen lassen. Pidusts Bilder spiegeln dabei auf subtile Weise Themen unserer postfotografisch und digital dominierten Lebensumgebung. Das Überschreiben von Sinnzusammenhängen durch digitale Technologien und Kommunikationsmedien, die Umdeutung sozialer und politisch-gesellschaftlicher Mechanismen durch dieselben sind Teil unserer täglichen Lebenserfahrung. Alles und jedes mündet in einen algorithmischen Selbstzwecken unterworfenen digitalen Stream, in ein automatisches Rauschen sinnentleerter Bedeutungsartefakte. Die Künstlerin nimmt sich dieser Artefakte an und überführt sie in Bilder, in Kompositionen, in neue Sinnzusammenhänge, all dies unter Post-Truth-Bedingungen: nach der „Wahrheit“, nach der Fotografie, nach der Malerei.

Michael Reisch