When Cats Become Form

Konzepte, Situationen, historische Dokumente, Publikationen, Editionen, Plakate, Flyer, Postkarten, Ausstellungsansichten ...

12.7. – 26.7.2025

NACHTS SIND ALLE SCHLAGLICHTER GRAU

Am 13. Juli 1871 organisiert der britische Künstler Harrison Weir die erste Katzenschau im Crystal Palace in London. Neben verschiedenen Lang- und Kurzhaarkatzen sind ebenso Wildkatzen Teil der Vorführung und werden durch eine fachkundige Jury bewertet. Aufgrund des breiten Zuspruchs der Besuchenden werden viele solcher Präsentationen folgen, auf denen die neuesten Kreationen der Züchter:innen der Öffentlichkeit präsentiert werden.

1969 wird die Ausstellung „When Attitudes Become Form“ von Harald Szeemann in der Kunsthalle Bern gezeigt. Sie gilt heute als wegweisende Schau – insbesondere, weil sie den künstlerischen Prozess in den Mittelpunkt stellte. Aus heutiger Sicht liest sich die Liste der teilnehmenden Künstler:innen wie ein Ritt durch die Kunstgeschichte der Postmoderne: Jannis Kounellis, Joseph Beuys, Eva Hesse oder Hans Haacke. Szeemanns revolutionäre Ideen sollten bis heute Einfluss auf die kuratorische Praxis haben.

Zwei Jahre zuvor gründete Helmut Rywelski in Köln die Galerie art intermedia, die bis 1972 existierte. Mit ihren Ausstellungen und Kunstaktionen sorgte die Galerie für Furore und positionierte sich ausdrücklich gegen einen profitorientierten Kunsthandel. Stattdessen engagierte man sich für eine „Sozialisierung der Kunst“, indem man unter anderem auf der 1970 stattfindenden Kunstmesse „Kunstmarkt Köln“ (heute ART COLOGNE) zur Protestaktion „Wir betreten den Kunstmarkt“ aufrief.

Im Jahr 1992 findet die Gründungsversammlung des ZADIK, des Zentralarchivs für deutsche und internationale Kunstmarktforschung, statt. Mit seinen umfangreichen Beständen ist das Archiv zu einer wichtigen Institution für viele Forschende geworden. In den vergangenen Jahren nimmt die Wissenschaftskommunikation einen immer wichtigeren Stellenwert in der Arbeit des Instituts ein.

In Chicago beschließt 1997 der damals 29-jährige Daniel Hug, eine Galerie zu eröffnen – mit dem Ziel, Kontakte zu anderen Galerien zu knüpfen, um seine Kunstwerke zu präsentieren. Wenig später folgt die Zusammenarbeit mit Michael Hall im Chicago Project Room (CPR), der zunächst lokale Künstler:innen förderte.

2000 gründet sich der kjubh Kunstverein e.V., der antritt, um als nicht kommerzielle Ausstellungsinitiative die Nische zwischen Institutionen und freier Szene zu besetzen. Nach einem Vierteljahrhundert ist der kjubh aus Köln nicht mehr wegzudenken – ganz besonders wegen der legendären Versteigerungen, inklusive ikonenhafter Nietenblätter.

Die Art Initiatives Cologne (AIC) gründet sich 2015. Das AIC fungiert als Netzwerk für die Off-Szene, woraus sich mehrere Projekte des kollaborativen Zusammenarbeitens ergeben. Seit 2016 zeigt das AIC ON Festival, was freie Kölner Kunstinitiativen zu bieten haben.

2025 wird das Archiv der AIC an das ZADIK übergeben. Flyer, Saalzettel, Ausstellungsposter und weitere Dokumente werden damit erstmals in Köln an einem zentralen Punkt archiviert und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Eine andere Art von Katzenausstellung findet im Juli desselben Jahres unter dem Titel „When Cats Become Form“ statt. Anhand ausgewählter Dokumente, Editionen und künstlerischer Interventionen wird eine kleine Geschichte der Kölner Off-Szene präsentiert.

FESTMAHL AM KATZENTISCH

Die Tage sind lang, das Wetter schwül. Die vielen Sonnenstrahlen laden am Tag zu ausgedehnten Ruhephasen ein – nur nachts treibt es die Katzen auf die Straßen. Ganz besonders, wenn es ein solches Festmahl aus Kunst, Archivalien und zeitgeschichtlichen Dokumenten zu entdecken gibt.
Die Tischgesellschaft ist versammelt. Weder finanzielle Kürzungen der Stadt Köln noch der Mangel an adäquaten Räumlichkeiten oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse konnten die Teilnehmenden von ihrem illustren Treiben abhalten. Denn Katzen haben ihren eigenen Kopf und stellen sich mutig sämtlichen Versuchen entgegen, domestiziert oder gar eingeschüchtert zu werden. Katzen widersetzen sich den Regeln. Sie sind agil und tauchen an den seltsamsten Orten auf – in Kellern, ehemaligen Werkstätten oder Ladenlokalen – und das immer wieder. Katzen sind frei, wenn überhaupt getrieben von einem unerschütterlichen Glauben an Innovation und die Kraft der Kunst.

Darum steht der heutige Tisch allen Streuner:innen offen, denn Katzen sind – entgegen der landläufigen Meinung – solidarische Tiere. Hoheitswissen halten sie nicht zurück, sondern präsentieren stattdessen Tipps, Tricks und Ratschläge direkt als Amuse-Gueule: „How to run an art space“ wird im handlichen Format mundgerecht dargereicht und weitet den Magen für den weiteren Verlauf des Abends. Das Menü wird in Form eines handlichen Saalzettels herumgereicht.

Die Unterhaltungen sind heiter, es wird in gemeinsamen Erinnerungen geschwelgt:
„Weißt du noch, diese Ausstellung von Henrike Naumann am Ebertplatz – wann wird das gewesen sein, 2018? Die bespielt ja bei der nächsten Biennale den deutschen Pavillon.“
„Ich hab da kürzlich nochmal eine alte MONOPOL-Ausgabe in der Hand gehabt. Das war damals wirklich ein verrücktes Ding, als wir alle dachten, die hätten die Fassade beim SSZ Süd entfernt, weil die Anzeige das damals suggerierte.“
„Hast du schon gehört, Mischa Kuball hat ja jetzt eine große Einzelausstellung. Vor zehn Jahren haben wir den ja mal gezeigt.“
„Mir ist letztens nochmal diese Fahrradaktion eingefallen. Während Corona hatten wir ja die absurdesten Ideen!“

Um sich auf den Abend einzustimmen, bestaunen die Anwesenden statt einer Vorspeise das umfangreiche Porträt ihrer Spezies, das ebenso gut eine Miniaturdarstellung des heutigen Events sein könnte. Plüschkatzen haben es sich derart auf dem Tisch bequem gemacht, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Raubkatzen räkeln sich auf der Tischplatte genauso wie kleine Jungtiere – hier zeigt sich, wie unterschiedlich, ja wie vielfältig Katzen sein können. Eine Kartäuserkatze seufzt beim Blick auf das Arrangement: „Ach, wenn wir doch an sämtlichen Tischen dieser Stadt so willkommen wären …“

Einige Stunden später wird ein wahrer Klassiker kredenzt: ein Nietenblatt. Darauf prangen die Versalien FSH.
„Ach, das habe ich ja schon seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen!“, raunt es von einem der Sitzplätze. Den jungen Katzen ist diese Buchstabenkombination, die für „Fritz Schramma Halle“ steht, kein Begriff mehr – musste die Halle ihre Spielstätte in der Deutzer Werft in Mülheim doch 2011 verlassen. Sechs Jahre lang bot der nach dem Kölner Oberbürgermeister benannte Projektraum einen exzellenten Rückzugsort für alle Samtpfoten. Denn hier richtete sich die Location nach den Ideen der Nutzenden, ohne einengendes Konzept.
„Diese Lagerhalle mit 340 qm war wirklich der Wahnsinn“, belehrt einer der älteren Kater die jüngeren Gäste, die ihren gespitzten Ohren kaum trauen können.
„Nicht nur heute gibt es immer mal wieder Probleme mit fehlenden Räumlichkeiten – das war auch schon vor einem Vierteljahrhundert so“, gesellt sich ein zweiter älterer Kater zur Gruppe,
„2002, als man die Josef-Haubrich-Halle abgerissen hat, zum Beispiel – da wurde der ganze Protest gar nicht ernst genommen, und die Kunsthalle musste für den schnieken Museumsbau weichen.“ Um seine Geschichte zu untermauern, zieht der alte Kater ein Plakat aus seiner Westentasche hervor. „Rosemarie Trockel, Kasper König und Udo Kier hatten sich mit vielen anderen damals gegen den Abriss ausgesprochen, aber das war der Kölner Politik einfach scheißegal.“
– „Krass, da waren aber wirklich alle Leute mit Rang und Namen dabei!“, sagt ein Kätzchen beim Blick auf das Plakat. „Hat leider nichts genutzt …“, winkt der alte Kater ab und faltet das Plakat wieder behutsam zusammen. „Hey, warum steckst du das Plakat denn wieder ein?“, fragt das Kätzchen. „Ich wusste davon überhaupt nichts und ich glaube, das würde auch viele andere interessieren.“ – „Ach, die alten Kamellen! Was wollt ihr denn damit?!“ – „Na, zum Beispiel für die Zukunft lernen. Warum gibt es eigentlich kein Archiv für die Orte, an denen wir uns gerne aufhalten?“

„Gibt es Nachtisch?“, fragt eine Europäische Kurzhaarkatze, die sich mit ihrer Zunge genüsslich die Pfote putzt.
„Es gibt ausgewählte Editionen“, schallt es aus der Küche.
„Und was genau?“
– „Na, da musst du mal selbst deine Schnurrhaare nutzen und auf die Suche gehen!“
Nach einigen Minuten des Umherstreunens, bei dem die Kurzhaarkatze ihren kleinen Kopf in diverse Boxen und Schachteln steckt, ruft sie plötzlich: „Boah, Pommes!“ Sie ist auf einen Druck gestoßen, der anlässlich des AIC ON 2021 entstanden ist.
„Ach, das war damals ein total schönes Projekt“, kommentiert eine umstehende Katze den Print,
„damals haben drei Künstler:innen für die Editionen zusammengearbeitet – eine moderne Interpretation des Cadavre Exquis sozusagen.“
Die Kurzhaarkatze blickt ungläubig auf das Plakat: „Und von wem stammt was?“
– „Das ist ja der Witz bei der Sache. Man kann zwar einige Motive Jan Hoeft, Mona Schulzek oder Lucia Sotnikova zuordnen – aber sie könnten ebenso gut von jemand anderem aus der Gruppe stammen.“
– „Ach so, verstehe. Da zeigt sich ja ganz schön, was durch kollaboratives Arbeiten möglich ist.“

Nachdem die Bäuche voll und die Köpfe mit unzähligen Ideen angefüllt sind, naht das Morgengrauen – ein Weckruf, der den Katzen bedeutet, ihre konspirative und geheime Zusammenkunft aufzulösen und zurückzukehren in die feindliche Welt der Regularien und Förderanträge.
Was bleibt, sind die Spuren der letzten Nacht – in Form von Notizzetteln, Flyern und Plakaten, die vielleicht eines Tages in einem Archiv landen.